28.07.11

facebook meets real life

"Facebook hat ja nichts mit dem echten Leben zu tun. Reine Nabelschau, getrieben von Eitelkeit und öffentlicher Oberflächlichkeit." Diejenigen das so genau wissen, sind natürlich nicht in facebook, nie gewesen. Deshalb wissen sie das auch ganz genau.

Meine allerlängste Freundin kommt nach 5 Jahren endlich wieder mal zu Besuch. Sie wohnt über 1600 Km entfernt im europäischen Ausland und fliegt eigens zu einem Rohkost Workshop herüber. Lange hatte ich hin und her überlegt. Das Thema interessiert mich sehr. Aber es stehen im Augenblick andere Anschaffungen an, so lege ich also schweren Herzens den Workshop für mich ad acta.
Um einen Einblick ins Thema zu bekommen, lädt sie mich zu dem Dinner ein, der am Vorabend in einem fancy Restaurant organisiert wird. Der Trainer des Workshops, Markus Rothkranz, wird auch anwesend sein. Ich bin schon sehr neugierug, etwas über Rohkost zu erfahren.

Am Tag vor dem Dinner checke ich abends nochmal schnell facebook. Meine Freundin hatte mir seit zwei Tagen schon diverse köstliche Rezepte zubereitet, un-gekocht, klar, weil roh.
Sie ist Raw Foodist. Eine spannende neue Welt.
Während ich so auf meiner Pinnwand runterscrolle, vorbei an Artikeln zu Musik, Politik, Spiel, Sport und Spaß, Glücksnüssen, Links zu Musikvideos, Berichten über persönliche Befindlichkeiten und Statements jedweder Thematik, bleibt mein Blick an einem Post eines Freundes hängen:
"Seminarplatz zu verschenken. Wer Interesse hat, melde sich umgehend bei mir" steht da.
Interessant, wie gesagt, mein Budget ist derzeit verplant, aber Neues zu lernen, interessiert mich ja immer. 'Zu verschenken' ist also ein guter Match mit meinen Bedürfnissen.

Was für ein Seminar hat er denn zu verschenken? Es muss interessant sein, ich kenne seine Interessen und weiß, dass er mit Sicherheit etwas Interessantes im Ärmel hat.
09.07.2011, Ökowerk Berlin, Markus Rothkranz, steht da.
Markus Rothkranz, woher kenne ich den Namen denn nochmal, Ökowerk... das ist doch... da geht doch meine Freundin übermorgen hin... zu verschenken? Mein Atem stockt...klicker...klicker...Wer hat Interesse? ICH! ICH! Ich werde knallrot vor Aufregung... meine Finger tippen einen Kommentar... Rechtschreibfehler sind mir jetzt wurscht... ICH!! So gerne! Und noch irgendwas. Schnell posten, bevor ein anderer schneller ist. POST!
Ah, ob er das noch liest? Uiuiui!
Mein Herz rast. 200 Öcken, zu verschenken. Gepostet vor einer Stunde. Wart mal, ich hab doch seine Nummer. Anrufen, sofort. Ich wähle seine Nummer. Kurz vor den letzten Ziffern halte ich inne - es ist schon fast 23 Uhr. Ist es vielleicht schon ein bisschen...
"Hallo?"
"Hallo! Ich bins, Christiane! Schläfst Du schon? Ich mein, störe ich? Ist es schon zu spät?"
"Ja, ist es."
"Oh, sorry, ich bin so aufgeregt. Es ist wegen des Seminarplatzes. Ist der noch da? Ich würde ihn so gern haben!"
"Ja, kannst Du haben."
"Ja?? Ja??? Wirklich?! (Jubel) Sorry, ich lege gleich auf, dann kannst du weiter schlafen. Ich ruf Dich morgen wieder an, wie wir das machen, und so. Oh, ich bin so aufgeregt, wie ich mich freue!"
"Ja. Ist gut. Gute Nacht."
"Gute Nacht."

Ich stehe da. Reglos. Mein Herz pocht wild. Ich bin dabei. Beim Seminar. Geschenkt. Facebook sei Dank. Unfassbar. Als meine Freundin aus dem Garten wieder herein kommt, frage ich so unbeteiligt wie möglich, obwohl ich gleich platze:
"Rate mal, wer mit beim Rothkranz Seminar ist."
Sie schaut mich irritiert an. "Wie?"
"Na, wer hat wohl einen Platz beim Rothkranz Seminar geschenkt bekommen?"
"Keine Ahnung."
"Na, ich...!" eröffne ich ihr, und es gluckst schon hinten in meiner Kehle.
"Wie?"
"Na mensch, ich habe einen Platz geschenkt bekommen, gerade eben, über facebook."
"Nee... was? Wie?"
Als sie begreift, was ich ihr da gerade erzähle, wird mir erst so richtig klar, was ich da gerade erzähle. Wir können es gar nicht fassen.
Später gehe ich nochmal zum Rechner, und poste meine Freude über den geschenkten Platz. Da meldet sich die Verschenkerin zu Worte, und freut sich mit mir. Ich habe Gelegenheit, mich direkt bei ihr zu bedanken, auch wenn wir uns beide gar nicht kennen. Sie ist bedauerlicherweise verhindert, weil sie doch arbeiten muss. Ja, des einen Leid...
Ich danke ihr von Herzen!

Das Dinner fängt gut an. Ganz schön fein das Restaurant, aber meine Freundin und ich haben uns ausnahmsweise aufgedressed. Im Internet konnten wir ja schon einen Eindruck bekommen, welche Art von Klientel dort zu erwarten wäre. Und so stöckeln wir mit einer kleinen Verspätung dort ein. Zum Glück hat sich die Veranstaltung etwas verzögert, und so sind wir genau richtig da.
Als wir zum Essen an unserem Tisch Platz nehmen, stellen wir uns gegenseitig vor. Zu viert teilen wir uns den Stammtisch, eine schöne Runde.

"Hallo, ich bin Eyrun." sagt meine Freundin zu ihrer Nachbarin linker Hand. Rechter Hand sitze ja ich.
"Sie ist extra aus Dublin hergereist." ergänze ich.
"Oh." sagen die Tischgenossinnen und stellen sich ihrerseits vor.
"Und ich bin Christiane." informiere ich.
"Sehr erfreut." sagen sie.

Wir essen, genießen, und unterhalten uns vorzüglich.
"Seid ihr morgen auch beim Seminar?" fragt Eyrun.
"Nein, leider," antworten sie, "keine Zeit." Und reiben Daumen und Zeigefinger aneinander.
"Ja, so ging es mir auch... aber gestern habe ich plötzlich einen Platz geschenkt bekommen." Ich strahle, in Erinnerung und zugleich Vorfreude.
"Ach, DU bist das?? Ich habe das gelesen! Du bist Christiane Schinkel?"
"Ja!"

Links mit dem lila Kleid, das bin ich... 
"Wow, wie toll! Ich habe mich so für dich gefreut!"
Ich bin fassungslos, und das nicht allein.
Da sitzen wir, zufällig an einem Tisch, völlig unbekannt. Und doch ist sie bestens informiert. Und hat sich schon am Vortag mit mir, einer ihr fremden Person, mitgefreut.
So ist es nämlich auch. Das Facebook. Ich kann einmal mehr Gutes daran finden.
Noch am Abend bestätige ich einen neuen Freundes-Kontakt.

Das Bild gehört zu diesem Event: Klick hier



Zwei Wochen später nehme ich an einem Workshop-Wochenende zum Thema Hypnose teil. Ich hatte Glück, es ist eine 2,5 Tagesveranstaltung, Open Air, mit Camping, und die Teilnahme ist kostenlos. Die schnellsten 100 Bewerber bekommen einen Platz. Ich war schnell.

Als ich dort eintreffe, kenne ich niemanden. Nachdem es aus Kübeln geschüttet hatte, hatte ich mich entschieden, auf den ersten Abend zu verzichten und erst am nächsten Tag anzureisen. Bei meiner Ankunft gibt es gerade eine Salsa Stunde. Ich setze mich an den Rand und schaue zu. Orientiere mich ein wenig. Nette Leute, wie es mir scheint. In der Pause gehe ich allein zum See. Auf dem Bootssteg verzehre ich ein Stück Käsekuchen. Unroh. Und auch sehr lecker. Ich genieße die Sonne, und mache ein paar Schnappschüsse vom See und mir. Als eine junge Frau an mir vorbei geht, frage ich sie, ob sie ein Foto von mir machen würde.
"Klar," sagt sie,"dann möchte ich aber auch eines."
"Na, logisch."
Wir fotografieren uns gegenseitig. Und kommen ins Gespräch.
Nach einer Weile stellen wir uns vor.
"Natascha." sagt sie.
"Christiane Schinkel." sage ich.
"Christiane Schinkel?" Sie stutzt. "Bist Du eine Freundin von Albert?"
"Ja." antworte ich, etwas perplex.
"Ich bin Tascha Na, das ist mein facebook Name."
"Ach, dich kenn ich auch, natürlich, hab schon diverse Kommentare von dir gelesen."
Wir freuen uns noch, als ihr Bekannter, mit dem sie zusammen angereist ist, zu uns stößt.
Um eine lange Geschichte kurz zu machen, dürfen wir keine anderthalb Tage später entdecken, dass wir vor 20 Jahren den gleichen Bekanntenkreis geteilt haben.
"Deshalb kommst Du mir so bekannt vor," ruft er erleichtert aus. In der Zwischenzeit hatten wir jedoch schon völlig unabhängig davon festgestellt, dass wir drei eine Interessenschnittstelle haben, die uns quasi nahelegt, in Zukunft zusammenzuarbeiten.

Ich weiß ja, dass es keine Zufälle gibt. Aber wenn es sie gäbe, dann wäre das so einer.

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