26.01.11

Der Realist

Sven und ich haben uns gestern zum ersten Mal getroffen, auf dem Geburtstag eines Freundes. Heute nun sitzen wir nebeneinander beim Geburtstagfrühstück und wollen uns eigentlich unterhalten. Aber so richtig klappt das nicht. Er ist facebook Gegner, ohne zu wissen wie facebook ist, und ich bin es nicht, nicht mehr. Seit 2008. Ich war aber mal facebook Gegner. Ohne zu wissen wie facebook war.
Deshalb schmunzele ich jetzt ein bisschen. Er bringt viele meiner alten Argumente, dabei sieht er sehr ernst aus, seine Stirn wirft immer wieder Falten. Gegner sein verkrampft wohl ein bisschen. Ich kenne das. Früher war ich oft Gegner. Das habe ich mir zum Glück abgewöhnt. Fast, nur fast, muss ich mir eingestehen. Denn wenn ich jetzt betrachte, wie ich mich auch schon fast ein wenig verkrampfe im Dafürsein, dann entdecke ich, dass das Dafürsein eigentlich auch nur eine Form des Dagegenseins sein kann, nämlich für gegen das Dagegensein.

"Ich will mein Leben mit echten Dingen erleben." statet Sven.
"Ja, natürlich." kommentiere ich.
"Ich will reisen, Leute treffen und mich mit ihnen unterhalten."
Das gefällt mir. "Ja, das tue ich auch."
"Facebook ist einfach nicht das echte Leben."
"Was genau ist denn an facebook nicht echt?" frage ich verwundert.
"Na, lauter Leute, die man nicht kennt. Und alle wollen sie mit einem befreundet sein."
"Ich suche mir aus, wem ich die fb Freundschaft bestätige." berichte ich. " Da ist kaum einer dabei, den ich nicht schon im echten Leben getroffen oder gesprochen habe. Und wenn ich wirklich jemand nicht mehr sehen möchte, blende ich ihn aus, oder lösche den Kontakt."
"Das kann ich nicht." Warum er das nicht kann, bleibt im Laufe des weiteren Gesprächs offen. Ich schätze, das ist ein interessanter Punkt.
"Für mich ist es wie eine private Zeitung, und die Redakteure sind meine Bekannten." beschreibe ich meine Erfahrung. "Dementsprechend gestalten sich auch die Inhalte. Das ist sehr praktisch, da spar ich mir viel Recherche. Ich habe ja keinen Fernseher und keine Zeitung. Ich habe dort politisch interessierte Freunde, technisch versierte, musikinterressierte, literatur- kunst- und marketingbegeisterte Freunde. Viele erzählen von sich und ihren Erfahrungen. Manche trauen sich privat zu erzählen, andere bleiben geschäftlich. Jeder Mensch ist ja anders."
"Das ist totale Zeitverschwendung. Da lebe ich lieber mein echtes Leben." Er wirkt jetzt verspannt. 
 "Ja, klar, das tue ich ja auch."
"Ich treffe mich lieber mit echten Leuten."
"Ich auch."
"Und wenn dein Bild einmal drin ist, kann facebook damit machen was es will. Es gehört dir nicht mehr!" deckt er auf.
"Du brauchst doch kein Bild von dir einzustellen, nimmst du halt eine Zeichnung." Ich versteh das Argument nicht ganz.
Aber er deckt gerade die facebook Gefahr auf und ist jetzt nicht zu bremsen.
"Alles was du da schreibst, kann heimlich gelesen werden!"
"Naja, kommt auf die Privatsphäre-Einstellungen an, was?" überlege ich "Du kannst es ja auch so einstellen, dass du genau steuern kannst, wer was von deinen postings liest. Da gibt es Freundeslisten, Gruppen, du kannst ganz genau einstellen, wer was sehen darf. Wo ist das Problem?"
"Trotzdem!" schleudert er ein bisschen emotional hervor "Ich will einfach nicht von allen Post bekommen. Ich habe gar nicht die Zeit, das alles zu beantworten. Ich will auch gar nicht wissen, was die mir über ihr persönliches Leben schreiben."
Ich schaue ihn verwundert an. Spätestens an diesem Punkt weiß ich, dass er gar nicht weiß, worüber er spricht. Und ich sehe ihm seine Angst an. Die Angst vor dem Unbekannten.
"Post?" frage ich "Wer schreibt dir denn Post? Da bekommt man doch keine Post."
Später wird mir klar, dass er wohl posts gemeint hat. Aber in diesem Moment springt er schon vom Tisch auf und verlässt den Raum.

Später, als wir uns nochmal unterhalten und die Wogen wieder glätten, denn wir sind beide nette verträgliche Menschen, schreibt er mir noch seine email auf. Er hat mir angeboten, eine Bekannte von mir für sechs Tage bei sich unterzubringen, weil sie dringend für diese Zeit eine Unterkunft braucht. Obwohl er sie nichtmal gesehen hat bis jetzt. Ich finde das mindestens ebenso offen, freundlich, hilfbereit und sympathisch wie verwunderlich. Nach diesem vorangegangenen Gespräch jedenfalls.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen