19.06.11

Miss facebook

Da sitzen wir, sieben Mann am Tisch, im original RL-Style, bei einem Kaltgetränk in einem Lokal und reden; über jetzt und über alte Zeiten. Freunde, alte Bekannte, wie wir uns auch nennen wollen. Natürlich auch facebook Freunde. Wir sind schließlich alle in der digitalen Zeit angekommen.

Der eine ist gerade aus Übersee da. Ich hatte die Info, dass er auf seiner Reise auch in die Mutterstadt kommen würde, von meiner Freundin beim letzten Gespräch über Skype bekommen. Und sein Status gestern hat es bestätigt: "Hello Berlin" Er ist mit seinem Sohn in Berlin gelandet.
Einer meiner ersten RL Freunde überhaupt, wir kennen uns nun schon über 40 Jahre. Das letzte Mal getroffen hatten wir uns vor mindestens acht Jahren, genau wissen wir das auch nicht mehr. Mittlerweile ist er Vater, und heute sehe ich seinen Sohn zum ersten Mal live. Bisher kenne ich den Kleinen nur von Fotos, denn unser Freund hält uns, seine Familie und Freunde, relgelmäßig auf dem Laufenden. Er ist Fotograf und macht tolle Bilder. Es ist eine Wonne, seine Bilder anzuschauen.

Da ich etwas früher da bin als die anderen, warte ich vor dem Lokal und halte Ausschau.
Ein Kind läuft des Wegs. Zu klein. Da eines, nee, dunkelhaarig. Könnte das da mein Kumpel sein? Der mit dem Jungen auf den Schultern? Vielleicht. Aber das Kind, das er dabei hat, ist zu jung, und die Frisur, nee, auch nicht.

Als sie sich anschicken, die Straße zu überqueren, erkenne ich sie schon von Weitem. Nichtmal, weil ich meinen Freund wiedererkenne. Nein, das Kind sehe ich, und weiß sofort ohne Zweifel, das sind sie. Ich lache sie an, und der Junge lacht zurück. Wie süß er ist!

Dass ich den Jungen noch nie gesehen hab, hatte ich bereits erwähnt, nicht?

Ich freue mich sehr. Unser Wiedersehen ist großartig! Ich umarme mit meinem Freund auch ein Stück Kindheit. Was haben wir nicht alles zusammen erlebt. Die schönsten Erinnerungen leben in dieser herzlichen Umarmung wieder auf.
Und da steht er, der kleine Freundes-Nachfahr, und schaut hoch zu uns. Mit seinen knappen vier Jahren wirkt er schon sehr selbstbewusst. Rundherum begrüßen wir Erwachsenen uns, es sind noch zwei Freunde dazu gestoßen. Neugierig nimmt der Junge die grüne Gemüsetüte an, die ich ihm reiche. Schwer, weil voll von Matchbox Autos, aussortiert von meinem Sohn. Der Abend ist für ihn gerettet, das Kind muss sich zwischen lauten blödelnden Erwachsenen, die nicht seine Sprache sprechen, nicht langweilen.

Kurz später trifft ein weiterer Freund ein. Wir kannten uns auch schon, da hab ich noch bei meinen Eltern gewohnt. Ich glaube, wir haben uns seit Mitte 20 nicht mehr gesehen. Lustige Zeiten haben wir als Jugendliche und junge Erwachsene geteilt. Jetzt im Gespräch stellen wir fest, dass wir Glück hatten, dass es damals noch kein facebook gab. Vermutlich hätte das ein oder andere Foto, was wir in unserem jugendlichen Leichtsinn vielleicht gepostet hätten, heutigen Karrieregeneratoren nicht bestanden. Zum Glück aber sind wir die Generation, in der Cinema 2000 auf der Kirmes noch revolutionär war. Damals, als die Menschen für 4 DM Eintritt dicht gedrängt in einem runden weißen Kuppelzelt fast aus den Latschen kippten, als nach einer irrsinnigen Fahrt das grobgepixelte Feuerwehrauto kurz vor einem kleinen Auto jäh zum Stehen kam. Wer nicht weiß, wovon ich spreche, kam sicher nicht vom Dorf, oder gehört einer anderen Generation an.

Es gibt viel zu erzählen, und so tun wir das auch. Als ich ein Thema anspreche und erwähne, dass ich das mal gepostet hab, sagt der Freund zu meiner Rechten "Ja, weiß ich, hab ich gesehen."
"Ich poste öfter mal was in facebook" erkläre ich. Er ist ja eher nicht so aktiv.
Er nickt. "Du postest öfter was, ja, allerdings! Du bist ja sehr aktiv, eigentlich jeden Tag. Du bist quasi Miss facebook."


Ich schaue ihn etwas verwirrt an. Wie meint er das denn jetzt?
"Ähm, ja." sage ich und weiß noch nicht so recht, wie ich es nehmen soll.
"Ja, ich bin ja abends immer zu Hause, wegen meines Sohnes, und ich hab ja auch keinen Freund, da bin ich mal gern in facebook." will ich mich rechtfertigen.
"Ist doch völlig in Ordnung." antwortet er. "Sind ja auch interessante Sachen. Nur, wenn Du mal einen Freund hast, dann werden wir Dich vermissen. Dann ist facebook wahrscheinlich tot. Nix mehr los."
Wahrscheinlich hat er nur wenige facebook Freunde, die sich außerdempassiv verhalten. Ich erinnere mich an die erste Zeit, als facebook noch wenig informativ und langweilig für mich war. Mittlerweile ist die Zahl der aktiven Poster bei gestiegener Freundeszahl allerdings so angestiegen, dass ich schon filtern kann, um mir die Interessantesten heraus zu picken.

"Wenn dein Freund auch in facebook ist," fährt er fort, "dann brauchst du ihm nichts mehr über dich zu erzählen, denn er weiß schon alles."
"Ja, denkst du?" stelle ich in den Raum.

Na, wenn der wüsste.

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